Kapitel III
Neujahrsmenü für den Kaiser
Neujahrstag 1569: Nach jahrelanger Arbeit überreicht Hofkünstler Giuseppe Arcimboldo Kaiser Maximilian II. einen außergewöhnlichen Bilderzyklus – die Vier Jahreszeiten und die Vier Elemente.




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Giuseppe Arcimboldo, Der Sommer, 1563. Wien, Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie © KHM-Museumsverband
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Giuseppe Arcimboldo, Das Feuer, 1566. Wien, Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie © KHM-Museumsverband
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Giuseppe Arcimboldo, Der Winter, 1563. Wien, Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie © KHM-Museumsverband
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Giuseppe Arcimboldo, Das Wasser, 1566. Wien, Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie © KHM-Museumsverband
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Giuseppe Arcimboldo, Die Erde, um 1566. LIECHTENSTEIN, The Princely Collections, Vaduz – Vienna © LIECHTENSTEIN, The Princely Collections, Vaduz – Vienna/SCALA, Florence
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Giuseppe Arcimboldo, Die Luft, um 1566. Schweiz, Privatbesitz
Bestandsaufnahme
Heute sind vom Wiener Zyklus nur noch zwei Jahreszeiten mit ihren Gegenstücken im Kunsthistorischen Museum erhalten:
Sommer und Feuersowie Winter und Wasser. Der Frühling(aus Blüten zusammengesetzt) befindet sich heute in der Real Academia de Bellas Artes de San Fernando in Madrid, während der Herbst als verschollen gilt. Von den Elementen hat sich die Erde (ein Arrangement von Säugetieren) in den fürstlichen Sammlungen Liechtenstein erhalten.
Die Luft – gänzlich aus Vögeln bestehend – ist verloren gegangen, hat sich also sprichwörtlich in Luft aufgelöst. Allerdings sind spätere Versionen der verschollenen Gemälde erhalten, die uns das ursprüngliche Gesamtkonzept überliefern.
Blickkontakt
Arcimboldo stellt Jahreszeiten und Elemente als Porträts dar, zusammengesetzt aus den Früchten und Schätzen der jeweiligen Zeit. Diese Köpfe schwanken zwischen Stillleben und Bildnis, zwischen Naturstudie und Allegorie. Zudem stehen sich Jahreszeiten und Elemente paarweise gegenüber: Während dem Frühling die Luft zugeordnet ist, erblickt der Sommer im Feuer sein Gegenüber. Herbst und Erde bilden das nächste Paar, Winter und Wasser schließen den Kreis.


Zutatenliste
Woraus sind die Bildnisse
nun im Detail zusammengesetzt?
Der Sommer
Der Sommer besteht aus sonnengereiften Früchten, Getreide und Ähren. Die Zähne sind Erbsen, die Lippen werden aus Kirschen gebildet. Das Gewand scheint aus Stroh gewebt, auf der Brust trägt die Figur eine Artischocke als Schmuck. Im Kragen und Ärmel verstecken sich Arcimboldos Signatur und die Datierung: „Giuseppe Arcimboldo f. 1563.“
Arcimboldo stellt die Natur nicht nur als Wunderwerk dar, sondern nutzt sie zur Verherrlichung der Habsburger. Seine Gemälde sind voller Anspielungen an die Habsburger Macht.
Das Feuer trägt die Ordenskette des Ritterordens vom Goldenen Vlies und zeigt den Doppeladler der Habsburger. Das Wasser trägt eine Krone – ein Hinweis darauf, dass die Serie einem gekrönten Habsburger gewidmet ist. Der Winter enthält ein verstecktes „M“ sowie ein Feuereisen, das Symbol des Ritterordens der Habsburger – ein direkter Verweis auf Kaiser Maximilian II. Während Pieter Bruegel d. Ä. in seinen Werken den Menschen als Teil der Natur zeigt, erhebt Arcimboldo die Habsburger zur zentralen Ordnungsmacht des Universums.
Kulinarische Köstlichkeiten
So manche hier dargestellte Frucht galt zu Zeiten Arcimboldos als absolute Rarität. Der Mais etwa – heute weltweit verbreitet – stammt ursprünglich aus Mexiko. Er wurde erst ab dem 16. Jahrhundert in Europa heimisch – zunächst in Spanien, dann in Norditalien. Nicht ganz so neu, aber doch als ungewöhnlich galt auch die Aubergine. Obwohl sie schon im 15. Jahrhundert in Italien langsam gebräuchlich wurde, stammte sie ursprünglich aus Afrika oder Arabien. Obst in der Vielfalt, wie bei Arcimboldo gezeigt, galt in der Zeit Kaiser Maximilians II. noch als unglaubliches Luxusgut.

Oft kopiert!
Arcimboldos Jahreszeiten-Zyklus war in seiner Originalität ein derart großer Erfolg, dass der Künstler selbst mehrere Varianten für die verschiedensten europäischen Höfe anfertigte. Manche waren als Geschenke der Habsburger Kaiser gedacht. Eine komplette Serie der Jahreszeiten aus dem Jahr 1573 befindet sich heute im Louvre. Eine etwas frühere Variante des Frühlings und Sommers findet sich in der Münchener Pinakothek.
Temperamentvoll
Im typischen Bestreben der Zeit, Assoziationen zwischen verschiedenen Ideen und Konzepten herzustellen, entsprach jedes Jahreszeiten-Elemente-Paar einem der Vier Temperamente des Galenus. Frühling und Luft entsprechen dem Sanguiniker, Sommer und Feuer dem Choleriker. Herbst und Erde korrespondieren mit dem Melancholiker, Winter und Wasser schließlich mit dem Phlegmatiker.
Jahreszeiten, Lebenszeiten
Die Jahreszeiten wurden häufig auch als Sinnbilder für die Lebensalter des Menschen betrachtet. So steht der Frühling im Allgemeinen für Kindheit, der Sommer für die Jugend, der Herbst für Reife und der Winter für das Alter. Arcimboldo lässt in seinen Allegorien der Jahreszeiten Ähnliches anklingen – sein knorriger Winter etwa wirkt wie ein grantiger alter Mann.
Der Bildhauer Alessandro Vittoria stellte mit seiner Statue eines alten Mannes vermutlich ebenso das Konzept des Winters dar.
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Alessandro Vittoria, Allegorie des Winter oder Hl. Zacharias, um 1585. Wien, Kunsthistorisches Museum, Kunstkammer © KHM-Museumsverband
Arcimboldos Jahreszeiten sind weit mehr als skurrile Porträts aus Früchten und Pflanzen – sie sind kunstvolle Sinnbilder für Natur, Herrschaft und Wissen der Renaissance. In ihrer raffinierten Kombination aus Stillleben, Allegorie und Porträt spiegeln sie nicht nur den Reichtum der habsburgischen Welt, sondern auch das wissenschaftliche Interesse an Botanik und den Elementen.